Der Spiegelkasten (German Edition) by Poschenrieder Christoph
Autor:Poschenrieder, Christoph [Poschenrieder, Christoph]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 9783257603132
Herausgeber: Diogenes Verlag AG
veröffentlicht: 2015-01-21T05:00:00+00:00
Drei
1
Es hat mich immer gewundert, warum das letzte Bild im letzten Album von der Verlegung seiner Kompanie an die Somme stammte. Es zeigt eine Reihe abfahrbereiter, überladener Lastwagen voller Soldaten und Gepäck und den mit Taschen und Zeug behängten Leutnant Rechenmacher, der sich lachend nach der Kamera umschaut. Was passierte danach? Ging die Kamera kaputt oder verloren? Hatte er keine Zeit, Lust oder Gelegenheit mehr zu photographieren, wurde alles zu schlimm?
Bei mir im Job war es schlimm. Die Chefin redete überhaupt nicht mehr mit mir, seit ich meinen Mullah-Bart pflegte. Ich fand morgens Klebezettel am Monitor: Dadada-dies, Dadada-jenes. Und was ihr alles nicht passte. Immer öfter sollte ich Berichte umschreiben. Sie wollte mich schikanieren; so sah ich das, selbst wenn ich in lichten Momenten zugeben musste, dass das eine oder andere Dossier eher hingeschlampt war. Aber, bitte um Entschuldigung, wo blieb die Motivation der Mitarbeiter, die Pflege des Betriebsklimas? Und da soll einer Höchstleistungen vollbringen.
Mittlerweile hatten wir Hochsommer. In der Organisation war es nicht nur wegen der Klimaanlage eiskalt. Nur mit dem belgischen Kollegen pflegte ich noch Kontakt. Dessen Berichte brauchten stets etwas Nacharbeit; vielleicht würde er sich eines Tages dafür revanchieren können. Vorläufig brachte er mir ab und zu Sandwiches für die Mittagspause mit. Die anderen hielten mich wahrscheinlich für verrückt oder arrogant. Dabei versuchte ich schon gar nicht mehr, sie zum Aufstand zu bewegen. Gespräche in der Kaffeeküche verstummten, wenn ich kam. Na schön: Bestellte ich mir eben eine Espressomaschine, nur für mich. Mittlerweile hatte ich eine zweite Abmahnung erhalten, weil ich mich hatte hinreißen lassen, den Bürocomputer für eine ausgiebige militärhistorische Recherche zu benutzen. Da war die Chefin irgendwie draufgekommen und hatte mir prompt das Zettelchen überreicht und ziemlich höhnisch eine Weisheit aus dem Lieblingssport ihrer Nation zitiert: Three strikes and you are out.
Ich trennte von da an strikt zwischen Büro und meiner abendlichen, mehr und mehr nächtlichen Obsession. Wegen einer Lappalie sollten sie mich nicht hinauswerfen können. Das wäre ähnlich jämmerlich, wie Al Capone wegen Steuerhinterziehung dranzukriegen.
Die feindliche Haltung meiner Chefin, das abgekühlte Betriebsklima, die verblödende Arbeitsweise mit Online-Medien – das alles begann an meinen Nerven zu zerren. Vielleicht lag es am Schlafmangel, aber, wirklich, meine Hand zitterte, wenn ich morgens den Browser startete. Bang wartete ich auf die erste Seite, auf den ersten News-Zombie, der sich von hinten ans Monitorglas schmiss und langsam und mit kreischenden Fingernägeln abschmierte.
Andererseits war es eine Sucht. Wenn bei meinem Online-Leitmedium eine Nachricht einschlug, klickte ich sofort die anderen wichtigen Seiten an und maß die Zeit, bis auch dort die Meldung erschien. An langsamen Nachrichtentagen klickte ich im Leerlauf herum. Alle drei Sekunden, immer die Runde.
Tag für Tag trieben die Online-Redakteure ihre vor Vergnügen grunzenden Lieblingssäue, die Warnexperten, durch die Netzdörfer; auf Spiegel Online begann jede zweite Schlagzeile mit »Experten warnen…«. Sie warnten vor Biodiesel und chinesischem Kinderspielzeug, vor Zahnfleischschwund und Gletscherschwund und was nicht noch alles – aber am liebsten warnten sie vor Panik.
Ich bekam dieses flaue Gefühl im Magen, das vom Überwarnungssyndrom herrührt: all die Warnungen, die mich
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